Vielfraße
"Man hat einzelne Beispiele von Menschen, deren Magen zur Sättigung eine unglaubliche Menge Nahrungsmittel, mitunter ganz ungewöhnliche, sonst gar nicht essbare Dinge nötig hatte. Milo von Kroton, der berühmte Wettkämpfer, trug einen ganzen Ochsen und verzehrte ihn darauf. Herodor von Megara verlangte zu einer Mahlzeit 20 Pfund Fleisch, eben so viel Brot und einen halben Anker Wein. Die Flötenspielerin Aglais hingegen ließ sich an 12 Pfund Fleisch, ebenso viel Brot und 16 Quart Wein genügen. Claudius Albinus konnte auf einmal 50 Feigen, 100 Pfirsichen, 10 Melonen und 20 Pfund Weintrauben und 109 Schnepfen verzehren. Der Kaiser Maximin konnte in einem Tage einen Eimer Wein trinken und 40 Pfund Fleisch essen, aber er konnte auch einen schwer beladenen Wagen fortziehen, einem Pferde mit einem Faustschlage das Bein brechen, Steine mit den Fingern zerreiben und nicht sehr starke Bäume mit den Wurzeln ausreißen.
Solche Erzählungen aus dem Altertum können verdächtig erscheinen, lieferten nicht die neuesten Zeiten ähnliche Beispiele. Im Jahre 1765 fand sich unter der sächsischen Leibgarde ein Mann, der auf einmal 20 Pfund Rindfleisch und ein halbes gebratenes Kalb verzehrte. Im Jahre 1771 starb zu Ilefeld der passauer Vielfraß Joseph Kolniker. Schon in seinem dritten Jahre fraß er vor Hunger Steine. Mutter und Großmutter waren Steinfresserinnen gewesen. Er konnte nicht anders satt werden, als wenn er Steine unter sein Essen mischte. Länger als 1½ Stunden hielt keine Mahlzeit vor. Einst verzehrte er in Braunschweig auf dem Schlosse in sechs Stunden 25 Pfund gebratenes Ochsenfleisch und trank 20 Quart Wein dazu. Ein andermal aß er zwei Kälber in fünf Stunden. Auch nahm er Metalle, Filz und andere Dinge zu sich. Von seinen zwei Kindern brauchte ein fünf Monate alter Knabe täglich zwei Quart Suppe, und eine Tochter, die in der neunten Woche starb, täglich ein Quart Milch. In seiner Jugend war er Soldat, bei Einquartierungen ward er für acht Mann gerechnet. Kolniker verdankte die Erhaltung seines Lebens seinem Steinfressen. Er bekam in einem Treffen einen Schuss in den Unterleib; die Kugel prallte an den Steinen in seinem Magen ab und er kam mit einer leichten Hautwunde davon. Der Galeerensklave Bazile war ein ähnlicher Fresser. Kurz vor seinem Tode sagte er: ich habe tausend Teufel im Leibe, die mir alle diese Schmerzen bringen. Es fanden sich nach seinem Tode darin: Fassreifen, 13 Stück Eichenholz, hölzerne und zinnerne Löffel, zinnerne Schnallen, ein Pfeifenkopf, ein Klappmesser, Fensterglas, Leder, eine blecherne Röhre u. s. w. Aber der Gärtner Kahle, der 1754 in Wittenberg starb, übertraf sie alle. Er fraß acht Schock Pflaumen nebst den Kernen, oder einen Scheffel Kirschen nebst den Kernen. Reichten die gewöhnlichen Speisen nicht zu, so fraß er die irdenen Schüsseln und Teller mit. Sein Gebiss war so stark, dass sein Einbiss in Steinen so sichtbar war, als habe er in Obst gebissen. Wenn er eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wein zu sich nahm, so zermalmte er Tasse und Glas so schnell, mit so lautem Getöse, wie die hungrigste Dogge einen Knochen. Lieblingsspeisen waren ihm lebendige Eulen, Mäuse, Ratten, Heuschrecken und Raupen. Ein Spanferkel mit Haaren und Borsten galt ihm als ein Morgenbrot. Mittags darauf hungerte er wieder dermaßen, dass er einen Hammel mit Wolle und Knochen zu sich nahm. Einmal raste seine Esslust so, dass er ein bleiernes Schreibzeug nebst der Tinte, dem Streusande, dem Federmesser und den Federn verschlang. Diesen Umstand hat ein Zeuge vor Gericht eidlich versichert. Armut bewog ihn oft, das Ungewöhnlichste zur Schau zu verschlucken. Daher machte er sich einst in einem Wirtshause, in Gegenwart vieler Menschen darüber her, einen ganzen Dudelsack zu fressen. Bei alle dem ward er 79 Jahr alt. Sein Leichnam ward auf landesherrlichen Befehl geöffnet; man konnte aber den Grund seiner Gefräßigkeit nicht entdecken. Der Marschall Villars hatte einen Schweizer, der ein ungeheurer Fresser war. Er fragte ihn, wie viel Rindsrücken er auf ein Niedersitzen essen könne. Wenig, war die Antwort: vier bis fünf. — Und Keulen?— Sieben bis acht. — Und Hühner? — Zwanzig. — Tauben? — Vierzig, vielleicht fünfzig, nachdem es kommt.— Aber Lerchen? — Ach, Monseigneur, was diese Tierchen anlangt, die kann ich unaufhörlich essen." (S.15-18)