Kalb
"Kalb muss nach polizeilichen Geboten aller Länder mehrere Wochen alt werden, bevor es zur Schlachtbank geführt werden darf; nichts ist aber auch ungesünder, nichts weniger nahrhaft als zu junges Kalbfleisch. Den Türken ist das Kalbfleisch sogar verboten, weil es noch nicht vollendet ist. Indes kann die mangelnde natürliche Reife im Garde-mange ersetzt werden; aber dies Verfahren erfordert höchste Vorsicht, vielseitige Erfahrung und ganz besonders eine günstige Lokalität.
Die Schlächterei kennt keinen besseren Braten, aber sie liefert ihn selten gut. Von elenden Kühen dürftig genährte Kälber können kein gutes Fleisch haben. Vom Kalb ist das Beste die Milch und das Gehirn — beide durch nichts auf der Erde zu ersetzen — sowie die Füße, welche aber eine kunstfertige Behandlung verlangen, wenn man sie nicht ganz einfach auf den Rost legt. Dann kommt das Fricandeau, was aber nur von dem gut zubereiteten, a point gegebenen gilt; in dem Zustande aber, wo man es mit dem Löffel schneidet, wie es gewöhnlich gegeben wird, ist es sehr ordinär. Das Nierenstück ist nur für die Garküche das beste, weil es das fetteste ist. Zu solchen Braten werden dann Klöße gegeben und — gebackene Pflaumen, Übrigens geben die Nieren auch Entremets unter dem Namen Omelettes.
Das Kalb kommt unter so vielen Formen auf die Tafel, dass man es das Chamäleon der Küche nennen kann. Fast alle Teile bieten sich den mannigfaltigen Launen des Kochs dar, es kann selbst verschiedenartig maskiert die Esslust täuschen, ja erwecken.
Man gebe dem neu geborenen Kalbe ein Ei und täglich bis zum dreißigsten Tage eins mehr; von da ab wiederum durch dreißig Tage täglich eins weniger; und wenn man auf diese Art zuerst von einem Ei zu dreißig Eiern gestiegen und eben so gefallen ist, so schlachte man das Kalb am sechzigsten Tage und man wird Mühe und Kosten belohnt finden. Kalbfleisch ist eine weiche, zarte, aber flüchtige Nahrung; daher für Damen, Gelehrte, Kinder, Genesende, die wenig Bewegung haben. Es macht wenig Hitze und kann Fieberkranken mit Zitronensäure erlaubt werden. Ein kalter Kalbsbraten mit einem Glase Rheinwein ist, trotz allem Vorurteil dagegen, und selbst nach Reil, für geschwächte Personen eine treffliche Stärkung.
Böttiger sagt (in den „Literarischen Zuständen"): Als Kalbsbraten aufgetragen wurde, der kalt aufgeschnitten war, bat Wieland, man möge ihn wegnehmen und im Zimmer räuchern, weil der Geruch des ausgedampften Bratens seiner Nase unausstehlich sei. Nur im Dampfe rieche der Braten lüstern. Ich finde diese Bemerkung sehr schlagend.
Der Kalbskopf, der bekanntlich mit der Haut serviert wird — außer wenn er farciert wird —, erfordert schnelle Diener beim Aufwarten, weil er sehr heiß gegessen sein will.
Kalbsmilch haben die Franzosen schon zu Rabelais Zeiten gegessen; denn dieselbe steht schon auf dessen Küchenzettel. Aber einige Jahrhunderte lang verschmähten sie dieselbe; denn bevor die Franzosen 1807 noch Warschau kamen, warf man sie, namentlich in Paris, den Hunden vor. In Warschau fanden sie dieselbe so gut zubereitet, dass man dies Gericht in Paris suchte.
Der Fricandeaur geschieht im schönen Jahrhundert Leo's X. zuerst Erwähnung. Sie kamen mit Katharina von Medici nach Frankreich; diese brachte aus Florenz einen Koch mit, der nicht nur das Kalbfleisch, sondern auch das Rindfleisch spickte.
Ris de veau hat fast immer, sogar in den besten Restaurationen, einen eigentümlichen, aber nicht angenehmen Geruch, weil es so zart ist, dass das kleinste Versehen diesen Übelstand hervorruft, besonders wenn es nicht äußerst frisch ist. Hierbei will ich ein für allemal warnen, dass man keiner Speise den Geschmack durch Kunst gibt, den sie durch ihr Verderben erhält, z.B. wie ich es in Paris leider in guten Küchen erlebte, die Croquets de riz nicht mit Zitronensaft zu behandeln. Denn der Reis wird, von der Wärme, nach einigen Stunden von selber sauer. Oder, was noch schlimmer ist, diejenigen Salatarten mit Sardellen zu verzieren, zu welchen man Eier verwendet hat." (S.75-77)