Geflügel
"Das Fleisch des Geflügels ist trocken, weniger reich an Gallert als das von Säugetieren. Es ist leicht verdaulich, gibt aber eine weniger dauerhafte Nahrung. Bei den Vögeln ist die Muskelfaser stark entwickelt, zumal bei den Raubvögeln, zum Teil in Sehnen- und Knochengewebe übergegangen, daher das Fleisch derselben oft ungenießbar wird. Das Fleisch der Wasservögel steht auf einer zu niederen Animalisationsstufe, nähert sich mehr dem der Fische, ist meist reichlich mit einem öligen Fett durchwebt, daher schwer verdaulich. (Gänse- und Schweinefleisch stehen einander in der Wirkung sehr nahe.) Am genießbarsten sind die körnerfressenden, hühnerartigen und die Singvögel. Hühner- und Taubenfleisch ist leichter zu verdauen als Rindfleisch. Die alten Ärzte leiteten von dem zu häufigen Genusse der Hennen das Podagra ab. Taubenfleisch erregte nach der Meinung der Araber Fieberbewegungen und Anfälle von Melancholie. Der Marschall Mouchy behauptete dagegen gerade umgekehrt, Taubenfleisch habe etwas Trostbringendes, Wenn ihm ein Freund starb, ließ er sogleich Tauben an den Spieß stecken. Ich habe, sagte er, jederzeit bemerkt, dass sich, nachdem ich auch nur zwei Tauben gegessen, meine Traurigkeit bedeutend vermindert hatte.
Vögel sind gesund, weil sie in freier Luft in beständiger Bewegung leben; sie geben für Gelehrte, Frauen und Kinder eine gesunde Nahrung. Es ist ein Vorurteil, die Schenkel aller Geflügel gering zu achten. Die Oberschenkel sind meist vortrefflich; bei Zugvögeln ist ganz besonders die Brust, die soviel gegen die scharfe Luft anliegt, sehr hart.
Wenn schon zu Horaz Zeiten anerkannt wurde, dass die Fische unter der Tiberbrücke einen verschiedenen Geschmack von andern Fischen hatten, so sind wir jetzt in der Gastrosophie weiter. Und um wieder auf die Schenkel des Geflügels zu kommen, so ist es z.B. ganz bekannt, dass gewisse Vögel, als Trappen, Gänse, gern auf einem Beine stehen, ja schlafen; aber es ist weniger bekannt, dass eine Gans die heute auf dem linken Fuße schläft, auch morgen, weil auch die Tiere Gewohnheiten haben, auf demselben Fuße ruhen wird, vorausgesetzt, dass nicht örtliche Gründe das verhindern. Ich kann der Wahrheit gemäß versichern, einen Gastrosophen gekannt zu haben, der es der gebratenen Gans ansah, welcher Schenkel so lange der Träger des Tiers gewesen war. Dieser ist an der jungen Gans der bessere, weil er kräftiger, ausgebildeter, saftiger ist; daher aber auch bei der alten Gans schlechter, weil er früher zähe, hart und dürr wird. Im Allgemeinen darf man annehmen, dass die Brust aller Vögel der trockenste Teil derselben ist, weil sie beim Fliegen am meisten leidet; aber darum nicht der weniger zarte. Denn das Brustfteisch umhüllt den entschieden besten Teil des Vogels, das Filet, das zarteste, feinschmeckendste und saftigste Stück seines Fleisches. Die Brust ist aber bei jungen und feuchten Vögeln besser, bei alten und trockenen hingegen schlechter als die übrigen Teile. Bei vielen viel fliegenden Vögeln ist der Flügel am fleischigsten; bei dem Hausgeflügel, das mehr zu Fuße geht, der Schenkel. Großes Geflügel ist schwerer, kleines leichter zu verdauen; doch gibt dieses eine leichtere, jenes eine festere und vorhaltende Nahrung. Diejenigen Geflügel, die weiß von Fleisch sind, sind am mildesten und leichtverdaulichsten. Rotsaftiger, schwerer und zäher von Fasern sind die, die braunes Fleisch haben. Vögel, die sich von Beeren und Getreide nähren, sind gesunder und süßblander von Geschmack als die, die Insekten fressen."