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Vaerst, Eugen von



Verdauung



"Maß und Beschaffenheit der Nahrungsmittel müssen unserer Natur, und ihr Widerstand unsern Kräften angemessen sein. Jede einzelne Person muss sich selbst, nach dem Vermögen ihres Magens, ihrem Alter, ihrer Lebensart, Konstitution, nach Klima und Jahreszeit ihre Diät bestimmen. Hunger, Bewegung und Verdauungsvermögen gehen gleichen Schritt. Bei Wachstum und körperlicher Arbeit ist unser Appetit stärker als bei dem Müßiggang und im Alter. Im Winter dient uns mehr und härtere Kost, im Sommer weniger und leichtere Speisen, die durch ihre Säure das Blut auswaschen.

In Ansehung der Quantität der Speisen können wir auf doppelte Art die Grenzen überschreiten — zu wenig oder zu viel essen. Die Mittelstraße zwischen beiden Fehlern ist Mäßigkeit — die erste Quelle, woraus Leben und Gesundheit fließt, die den Gesunden erhält, den Kranken gesund und den Schwachen alt werden lässt. Von zu wenigem Essen entstehen Schwachheit und Schärfe der Säfte. Die Muskelfaser verliert ihre Spannung, die Verdauungswerkzeuge ihre Stärke, weil sie nicht in Tätigkeit erhalten werden. Die kleinen Gefäße fallen zusammen und verwachsen aus Blutmangel und Armut an Säften. Das Blut bekommt eine faulende Schärfe, an der alle Säfte Teil nehmen.

Häufiger ist der entgegengesetzte Fehler — mehr zu essen, als unsere Natur bedarf. Bei den tausend sinnreichen Erfindungen, unserm Gaumen zu schmeicheln, ist nichts gewöhnlicher als dieser Fehler. Wir würden um die Hälfte weniger Krankheiten haben, wenn man die von der Summe abzöge, die von Unmäßigkeit abstammen. Es soll Jeder den andern Tag fasten, der den vorigen bei fröhlichem Mahle zu viel des Guten getan hat. Vorzüglich sollten fette, vollblütige und korpulente Müßiggänger, die eine verdächtige Gesundheit haben, dann und wann fasten, in den Zwischenzeiten nahrungslose Speisen essen, viel arbeiten und wenig schlafen. Der erste Fehler einer beständigen Überladung ist, dass man gefräßig wird. Kampf macht stark. Der Magen wird an die überspannte Ausdehnung gewöhnt,, und die Bewegung der Säfte geht mehr, als sie sollte, dahin. Ist der Magen dabei stark und vermögend, den Überfluss der Nahrungsmittel zu bezwingen, so bekommen solche Personen zu viel Milchsaft, zu viel Blut, zu viel Fett. Sie schweben in stündlicher Todesgefahr und sind, wenn sie krank werden, schwer zu retten. Ist der Magen schwach, so entstehen nach der Überladung Schwere, Drücken und Aufschwellen desselben, Schlucken, Übelkeiten, Röte des Gesichts, Unfähigkeit zur Arbeit und Neigung zum Schlafe. Die scharfen Reste machen in den Gedärmen Kollern und Bauchgrimmen. Nach einigen Stunden, wenn der rohe und unbezwungene Milchsaft zum Blute kommt, entstehen durch den Widerstand, den er in seinen Gefäßen findet, Frösteln, Hitze, Durst, Drücken auf der Brust und ein unruhiger Schlaf. Personen, die einen schlechten Magen haben, müssen sich fleißige Bewegung machen. Leibesübung ist eine der reellsten Quellen guter Verdauung. Besonders dienen Jenen mäßige, stufenweise vermehrte Bewegungen nach dem Schlaf und auch Spaziergänge am Morgen, welche die rohen Materien des Bluts austreiben, die während des Schlafs bearbeitet und gekocht sind.

Bei einer schnellen und starken Überfüllung wird der Magen über Vermögen ausgedehnt und gleichsam lahm; er verliert Bewegung und Tätigkeit, und die Speisen bleiben unverrückt an ihrem Orte stecken. Die Luft, die aus den faulenden Speisen hervorbricht, schwellt den Magen noch mehr auf, drückt alle benachbarten Gefäße und Kanäle der Galle, der Gekrösdrüse und die niedersteigende Aorta zusammen, und kann Blutspucken, Schlag und Entzündung des Magens erzeugen. Sie ist desto gefährlicher, wenn die Speisen schwer verdaulich, halb gar und flatulent (Graupen- und Hülsenfrüchte) sind, nicht gehörig gekaut werden, und die Überfüllung schnell und ohne Appetit geschehen ist. Man hat viele Beispiele, dass, bei unsinnigen Wetten, sich Leute an Kuchen, Brezeln und Hülsenfrüchten auf der Stelle tot gefressen haben oder bald nachher gestorben sind.

Wer gut verdauen will, muss vor allem Andern langsam essen und gut kauen. Gut gekaut ist halb verdaut. Ein französischer Dichter sagt:

Jouissez lentement, et que rien ne vous presse;
Gardez qu'en votre bouche un morceau trop hâté
Ne soit en chemin par un autre heurté.

Nicht umsonst hat die Natur den Kinnladen so starke Muskeln gegeben, die eine Kraft von mehr als tausend Pfund überwiegen. Unter einem langsamen Kauen presst sich der Speichel desto häufiger aus, mischt sich inniger mit den Speisen, und die Verdauungssäfte wirken desto besser, je feiner sie durch die mechanische Zermalmung unter den Zähnen zerrieben sind. Geschäfts- und Staatsmänner essen gewöhnlich sehr schnell; Kinder, Frauenzimmer, Gelehrte, genesende und sitzende Personen, Alle, die an einem schwachen Magen leiden, sollten hierin der arbeitenden Volksklasse, dem Landmann und Tagelöhner nachahmen, die gut kauen, langsam einpacken und wie die Strauße verdauen.

Noch schädlicher ist es, die Getränke, Suppen und andere Speisen zu heiß zu genießen. Zu heißes Essen schwächt und erschlafft die Muskeltätigkeit des Speisekanals, verändert seine Sekretion. Die Hitze macht Wallungen des Bluts und treibt die Säfte nach außen, die während der Verdauung nach innen gehen sollten. Der Schlund kann gleich darauf gefährliche Entzündungen und der verbrühte Magen krampfhafte Zufälle bekommen.

Besonders leiden die Zähne und verderben davon, die bald glühend sind und unmittelbar darauf an der kalten Luft schnell abgekühlt werden. Der schnelle Wechsel von kalten und heißen Speisen ist schädlich: die Natur liebt keine Extreme.

Man hat die Empfindungen des Hungers auf eine lächerliche Weise dem Reiben der Magenwände aneinander zugeschrieben; so auch der großen Schärfe des Magensaftes, welcher die Häute des Magens auffräße. Wäre eine dieser Ursachen vorhanden, so müsste Entzündung erfolgen, wenn der Hunger einige Zeit gedauert hätte. Von Entzündung aber ist bei dem Hunger keine Spur. Kälte, nicht Hitze, ist die Begleitung desselben, und dies beweist, dass er, wie der Durst, der Untätigkeit derjenigen Membranen, in welchen er seinen Sitz hat, zugeschrieben werden muss.

Zur Erhaltung der Gesundheit ist es notwendig, dass ein dem Verbrauche der organischen Substanz angemessener Ersatz durch die Aufnahme frischer Nahrungsstoffe und durch ihre Umwandlung in Blut geleistet werde. Hunger und Durst fordern zu dem Genuss der erforderlichen Speisen und Getränke auf; das Genossene aber wird durch die auflösende Kraft des Magensaftes in den sogenannten Speisebrei verwandelt und dieser in Darmkanale durch die beigemischte Galle und pankreatische Flüssigkeit dergestalt zersetzt, dass der aus ihm abgeschiedene Milchsaft, Chylus, alle nahrhaften der Mischung des Körpers assimilierbaren Bestandteile enthält. Eigentümliche, im Darmkanal zahlreich verbreitete Saugadern nehmen den Chylus in sich auf und leiten ihn in einen durch ihre Vereinigung gebildeten Kanal, welcher ihn in das Blut der zum Herzen zurückführenden Adern ergießt. Auf diesem Wege erfährt der Chylus eine Reihe von chemischen Veränderungen, durch welche er dem Blute immer ähnlicher wird, und seine völlige Umwandlung in dasselbe erfolgt in den Lungen, in welchen er, mit dem Blute vermischt, der rechten Herzkammer zugebracht wird.

Wenn es gewiss ist, dass von unmäßiger Lebensweise sich bei vielen Menschen das Podagra ausbildet, so fehlt es andernteils auch nicht an Beispielen, dass Männer von der mäßigsten Lebensweise von diesem Übel heimgesucht werden. So wissen wir, dass Papst Gregor der Heilige, trotz dem dass er sein ganzes Leben sehr mäßig gewesen, keinen Tag vom Podagra frei blieb, wie auch der Kardinal Colonna, der berühmte Freund Petrarcas, dessen fast spartanische Lebensweise zu seiner Zeit allgemein bekannt war.

Man hat sogar im Gegenteil beobachtet, dass das gelegentliche Überschreiten des Maßes der zu nehmenden Lebensmittel nichts schadet, da dem Menschen bei Benutzung seiner Kräfte ein weiter Spielraum gelassen ist, sodass er nur im Ganzen und Großen sein Leben nach den Forderungen der Natur einzurichten braucht und nur nicht immer ihre Ordnung durchkreuzt. Aber auch ein mäßiges Fasten, welches der spät genossenen Hauptmahlzeit während mehrerer Stunden vorhergeht, schadet nicht nur nichts, sondern befördert ungemein die Spannung der geistigen Kräfte und schwächt keineswegs, wie so oft behauptet ist, die Verdauung. Ja man kann diese wichtige Funktion so ganz in seine Gewalt bekommen, dass man während ganzer Tage fasten darf, ohne sich zu schaden, wenn man nur später das Versäumte nachholt. Bei den Gesunden und Erwachsenen wird überhaupt die Menge der zu genießenden Speisen durch die Summe und die Art ihrer Tätigkeit bestimmt." (S.36-40)

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