Wild
"Wild ist eine der ersten Grundlagen eines guten Tisches, Es ist gleich gut als Braten, Pastete, Salami. In Frankreich ist wegen der freien Jagd und des sehr geteilten Bodens großes Wild, selbst Fasanen, Seltenheit und in England wird Wild beinahe mit Gold aufgewogen. Die in Freiheit lebenden wilden Tiere genießen beständig frische Luft und haben immerwährend Bewegung, um ihrer Nahrung nachzugehen, sich vor ihren Feinden zu sichern. Ihr Körper ist daher trockener, dichter, subtilisierter und zur Fäulnis geneigter als der der Haustiere. In ihren Säften entwickelt sich ein flüchtig laugenhaftes Wesen, das ein Produkt und Analogon der Fäulnis ist und unsern Säften eine ähnliche Neigung zur Korruption mitteilt. Eben von diesem alkalischen Bestandteile hat der Wildbraten seinen Fumet, der unsere Nerven piquiert. Im Überfluss genossen macht das Wild faulen Geschmack, Hitze, Durst und Hang zur Fäulnis. Doch ist das Wild von Natur mürber, zarter, leichter verdaulich und hat die ekelhafte Süßigkeit des zahmen Fleisches nicht, es nährt aber minder, weil es trockener und weniger lymphatische und gallertartige Teile hat. Zu kräftigen Suppen ist es daher untauglich, zum Braten desto geschickter. Bei nasskalten und feuchten Herbsten, im Winter, ist es gesunder als im Sommer.
Faules Wildbret mag ekelhafter Überreizung und krankem Sinne wohltun; ein gebildeter Mann sollte es Keinem vorsetzen; der Gastrosoph wird es nie genießen. Man muss es den Franzosen verzeihen, wenn sie ihr Wild meistens nur mit Essigsaucen und in Essig gelegt (daher mariné genannt) essen. Denn erstens bekommt man in Paris nur höchst selten oder mit den größten Kosten und Umständen frisches Wild; denn es kommt meist weit her, und erst jetzt kann es durch Eisenbahnen aus den gebirgigen, wildreichen Gegenden rasch, also frisch geschafft werden. Ob es außer Paris noch Franzosen in Beziehung auf Tafel und Küche gibt — die vier Städte Bordeaux, Marseille, Lyon und Rouen ausgenommen — darf bezweifelt werden; sie haben wenigstens keine Stimme. Zweitens haben die Wildhändler Interesse dabei, allen ihren Kunden ganz frisches Wild zu versagen; denn sie äßen ihnen sonst das alte nicht mehr weg. Drittens hauptsächlich ist das frisch nach Paris, also aus der Nähe kommende Wild fast ein zahmes, von so fadem, nüchternem Geschmacke, dass es erst durch die halbe Fäulnis (haut-gout) und diese wieder durch die Essigzubereitung (das Mariné) essbar wird, weshalb sie auch das gehetzte Wild dem geschossenen vorziehen, was denn doch eine an Barbarei grenzende Überreizung bekundet.
Wer einmal einen Ziemer von einem lustig herangewachsenen, jungen zweijährigen Rehbocke, welcher auf dem Anstande oder beim Pirschen, in dem angenehmsten Momente seines Lebens, auf frischer Wiese weidend überrascht und jagdgerecht ins Blatt geschossen wurde, also im Moment des Schusses verendete — und zwar selbigen Ziemer den zweiten Tag darauf, nachdem er in freier Luft 24 Stunden gehangen, gegessen hat: der verlangt gewiss nie mehr Wild mit haut-goût. Dass man das Wild kurze Zeit der freien Luft aussetze — besonders der Zugluft —, bis es den eigenen in der Wildnis empfangenen, unangenehmen Geruch und Geschmack, das Ranzige, verliert, ist ebenso natürlich als die Gewohnheit, z. B. die Auerhähne einige Tage zu vergraben, um sie mürbe zu machen, unnatürlich ist: in Essig legen, gelindes aber anhaltendes Klopfen bewirken das besser.
Die Bergschotten hatten ehedem eine so vortreffliche Art, das Wild zu bereiten, dass der Vidame von Chartres, der unter Eduard VI. als Geißel in England war, die Erlaubnis erhielt, diese Art an Ort und Stelle zu untersuchen. Nach einer großen Jagdpartie, die ihm dort gegeben wurde, war er sehr erstaunt, dass die Bergschotten einen Teil des getöteten Wildes ganz roh aßen, durch nichts zubereitet, als dass sie dasselbe zwischen zwei Knüppeln sehr quetschten, um das Blut auszupressen. Der Vidame machte sich populär, indem er dies harte Gericht nicht verschmähte.
Hirsche geben, wenn sie jung sind, eine gesunde, feste Nahrung; sind sie über das dritte Jahr hinaus, so werden sie schwer verdaulich und machen üble und schwarzgallige Säfte. Dammhirsche sind zarter als Hirsche und härter als Rehe, sind aber im Fett dem Hammel nahe verwandt.
Rehe geben eine gesunde, zarte und leicht verdauliche Speise. Das schönste Stück ist, wie bei den Hirschen, der Ziemer.
Schwein. — Das wilde hält sich nicht, wie das zahme, im engen unreinlichen Stall auf und hat deshalb ein gesunderes, trockeneres, zarteres und leichter verdauliches Fleisch als das zahme. Der Kopf ist das geschätzteste Stück.
Hase. — Ein junger drei bis acht Monat alter Hase gibt ein zartes, leicht verdauliches und durchgearbeitetes Nutriment. Nach dem dritten Jahre wird er hart, wenig nahrhaft und beschwert den Magen. Die Hasen leiden zuweilen an einer Art böser Blattern, was man daran erkennt, dass ihnen die Wollhaare hinter den Löffeln ausgegangen sind. Da die Beschaffenheit des Erdreichs auf dies Tier einen starken Einfluss ausübt, so findet man die Berghasen viel größer und dicker, auch gemeiniglich anders gefärbt als die Feldhasen. Sie sind aber auch viel delikater als diese.
Der amerikanische Bison wird bloß der Zunge wegen, welche ein ausgesuchter Leckerbissen ist, getötet. Auch bei Elendtieren und Renntieren sind die geräucherten Zungen delikat. Letztere kommen auch nach Deutschland.
Ich fand sie sehr trocken. Sie werden am besten mit einer Remoladensauce gegessen.
Der amerikanische Büffel der Prairie wird, einer gewichtigen Autorität — Cooper — und der Erzählung vieler Reisenden zufolge, besonders seines Höckers wegen verfolgt und getötet. Dieser mit Fett durchwachsene Fleischklumpen soll das Delikateste sein, was man der Zunge bieten kann; er wird geröstet. Viele Feinschmecker haben dieses Büffelhöckers wegen die Reise nach Amerika gemacht und sich für alle Mühseligkeiten der Reise und der sehr beschwerlichen, ja gefährlichen Jagd dieses Tieres durch den Genuss seines Höckers entschädigt gefunden.
Der Bär. — Ich hatte dieses liebenswürdige Geschöpf ganz vergessen. Als ein guter Freund von mir, ein großer Gastrosoph, dies bei Durchlesung meines Manuskripts gewahr wurde, rief er ungeduldig: „Um des Himmels willen wo bleibt denn der Bärenschinken, dies Ideal von einem Schinken? Du kannst nie davon gekostet haben, sonst hättest Du den gewiss nicht vergessen. Die Bärentatzen freilich gebe ich preis, sie haben nur für Fettmäuler (eine besondere Species der Gourmands) einen Reiz." Diesem Ausruf liegt wohl sogar ein doppelter Irrtum zum Grunde, denn ich bin kein Fettmaul, vielleicht eher das Gegenteil, liebe die Bärentatzen und kenne Bärenschinken. Bärentatzen habe ich immer vortrefflich gefunden, obgleich ich das erste Mal einen Widerwillen zu überwinden hatte, weil diese Tatzen eine große Ähnlichkeit mit Menschenhänden haben. Bärenschinken habe ich sogar oft gegessen, oft, weil ich sie immer wieder von verständigen Essern loben hörte, während ich sie immer hart und wenig wohlschmeckend fand. Ich ließ mir welche aus Schweden kommen. Aus Russland brachte mir ein Freund welche mit. Endlich, um nichts zu versäumen und ein gegründetes Urteil fällen zu können, ließ ich mir in Italien einen ganz jungen Bären mästen, schlachten und die Schinken gehörig zurichten: sie waren wieder fast ungenießbar. Der Wahrheit gemäß waren aber die Schinken meines italienischen Baren nicht gut geräuchert worden, ich hätte also eigentlich nach Konstantinopel gehen müssen, wo bekanntlich alles Rauchfleisch in allervorzüglichster Güte bereitet wird. Man kann mir aber nach so betrübten Bärenschinken - Erfahrungen nicht verargen, wenn ich eine spezielle Malice gegen den Bärenschinken habe. Der Bär schmeckt aber auch im Allgemeinen und der Wahrheit gemäß weichlich, fast wie zahmes Schweinefleisch. Kopf und Tatzen sind davon wohl allein Delikatessen. Der schwarze Bär nährt sich vorzugsweise von Pflanzen, Obst und Honig, der braune mehr von Tieren, jener ist schmackhafter. Man genießt überhaupt am liebsten junge Baren, die noch kein Fleisch gefressen haben. Im Oktober sind sie sehr fett und dann am besten.
Das Kamel. — Die Milch desselben ist so ergiebig wie nahrhaft. Sie ist das beste Mittel gegen die Wassersucht. Mohammed scheint sie nicht geliebt zu haben. Er der die Milch sehr liebte, gibt aber der Kuhmilch überall den Vorzug und erwähnt nicht einmal der Kamelmilch, Die Kost von Mekka und Medina war zur Zeit Mohammed's schon schwelgerisch geworden. Die Beduinen trinken fortwährend Kamelmilch und geben auch ihren Rassepferden davon, wodurch sie sehr kräftig werden. Junges und zartes Fleisch des Kamels hat den Geschmack von bestem Kalbfleisch.
Lama hat ein vortreffliches, gesundes, schmackhaftes Fleisch, vorzüglich das der Iungen von vier bis fünf Monaten.
Biber. — Der Schwanz desselben ist eine Delikatesse; er wiegt drei bis vier Pfund. Er wird, wie ein Karpfen, in Stücken angerichtet, im Wasser so lange gesotten, bis er allen Tran verliert. Darauf kocht man ihn in einem Tiegel, mit Wein, Essig, Gewürz und geriebener Semmel. Die Missouri-Jäger halten den Biberschwanz für eine der köstlichsten Leckerspeisen und europäische Reisende haben diese Behauptung bestätigt. Nur muss man das unter den Schuppen liegende Fleisch zur Seite legen, weil es seinen Trangeschmack niemals verliert.
Elefantenfüße, Flußpferdszungen und Kamelbuckel sind orientalische Delikatessen. Aber diejenigen Kamele, die zum Essen bestimmt sind, sind weiß wie Schnee; sie werden niemals zur Arbeit, zum Reiten oder Lasttragen gebraucht. Ihr Fleisch ist rot und sehr fett.
Tribuzzi, ein bekannter österreichischer Gourmand aus Triest, war 1819 in Wien, als er hörte, dass man sich in Venedig genötigt gesehen, einen unbändig gewordenen Elefanten zu erschießen. Er wusste, dass im Orient Elefantenfüße und Rüssel zu den ausgezeichnetsten Delikatessen gehören. Er bat also dringend, man möge Teile von beiden einsalzen, ordnete seine Geschäfte, nahm Courierpferde und reiste nach Venedig, Als er durch die Kärnthner Straße in Wien fährt, sieht er bei einem Delikatessen-Händler eine gewisse lange weiße Wurst, deren Namen und sonstige Eigenschaften ich leichtsinniger Mensch vergessen habe — kurz eine Wurst, die er längst erwartet hatte. Aber er hält keine Minute; der Elefant lässt ihm keine Ruhe, und doch verfolgt ihn wieder auf der ganzen Reise das Bild dieser Wurst. Sie schwebt seinen Träumen so gut wie der Elefant vor. Endlich in Venedig angekommen, findet er, dass man seine Aufträge versäumt hat. Nun lässt er den Elefanten ausgraben. Der aber findet sich schon so sehr in Verwesung, dass sich nichts mehr von ihm genießen lässt. Nun eilt Tribuzzi zurück, aber die berühmte Wurst ist verzehrt. Dieser Gastronom reiste alle Jahre zur Fasanenzeit nach Steyermark; er genoss am liebsten Alles an der Quelle. Von Steyermark ging er durch Savoyen, zu den berühmten weißen Trüffeln, und von da nach Straßburg zu den Gänselebern. Er nannte das seine Kunstreise." (S.83-90)