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Vaerst, Eugen von



Bouillon



"B o u i l l o n ist die Basis fast aller Suppen. Das frischeste Fleisch gibt unbezweifelt die beste; es muss aber freilich seine Reife je nach dem Alter des Tieres und seiner Konstitution haben - das a point des Garde-manger. Gute Fleischbrühe kommt nicht nur von Fleisch, sondern auch von Knochen, und diese geben die beste, fettlose Brühe. Gute Suppen kommen selten aus großen Küchen, in denen man alle Augenblicke aus den Fleischtöpfen schöpft zu Tassenbouillon, Saucen, Ragouts, Gemüsen und, was noch schlimmer ist, das Fehlende im Topfe meist mit frischem Wasser ergänzt, welches jede Suppe verdirbt. In schlechten, ja auch in guten Restaurationen ist das nicht nur oft, sondern sogar gewöhnlich der Fall, Ein Fremder kam an einen solchen Tisch und fand die Suppe so elend, dass er sich ein Glas Rotwein geben ließ und es in die Suppe goss, um ihr einen leidlichem Geschmack zu geben. Sein Nachbar aber machte ihm bemerklich, dass hier der Rotwein so schlecht sei, dass man ihn mit Suppe verbessern möchte.

In kleinen Wirtschaften ist der Suppentopf der Hauptgegenstand, auf den man alle Sorge verwendet. Eine gute Suppe ist daher sehr oft das Diner der Armen: ein Genuss, der oft von den Reichsten vergebens gesucht wird. Damit die Suppen nicht so leicht verbrennen, möge man das Fleisch in den Topf hängen und den Deckel mit Brotkrume an den Topf kleben: das Feuer wirkt auf den so hermetisch verschlossenen besser. Will man das Fleisch saftig erhalten — wiewohl dasjenige, woraus die Suppe genommen ist, eigentlich nie auf den Herrentisch kommen sollte — so muss es stark und mehrfach mit Bindfaden zusammengezogen sein. Es ist, wie gesagt, ein Irrtum, doppelt starke Bouillon schwachen Magen zu geben: der tierische Stoff stimmt den Magen zu hoher Reizbarkeit und ermüdet ihn desto früher. Man sorge dafür, dass die Suppe nicht zu dick werde, dass genug Bouillon, besonders für italienische Nudeln, Reis, Macaroni u. s. w. vorrätig sei.

Gute Bouillon ist so wichtig und köstlich als selten. Es kommt, wie sonderbar das auch klingt, dabei nicht vorzugsweise auf die Quantität, vielleicht selbst nicht auf die Qualität des Fleisches an, sondern noch mehr auf die Bereitung derselben, damit das Fleisch das Osmazom1 und besonders den tierischen Leim gibt. Dies aber geschieht nur, wenn das Wasser durch seine allmähliche Erhitzung einwirkt. Aber die Muskeln enthalten auch Albumin, eine Materie, die dem Eiweiß sehr ähnlich ist und welche den Schaum auf dem Fleischtopfe bildet. Dieser Bestandteil gerinnt.und verhärtet sich bei einer Hitze von 80 Grad, und deshalb will der Fleischtopf vorsichtig und mit Mäßigung dem Feuer ausgesetzt sein. Man kann ihn nicht zeitig genug ans Feuer bringen. Nicht an heftiges; denn nur das lange, gelinde Kochen gibt die beste Suppe. Nichts aber ist häufiger als die Versäumnis dieser so notwendigen Maßregeln.

Will man eine gute Bouillon und zugleich genießbares und nahrhaftes Fleisch erhalten, so muss man vor allen Dingen, das Fleisch und kaltes Wasser zugleich ans Feuer bringen und etwas Kochsalz sofort hinzufügen. Nur hierdurch wird zuerst das Albumin mit extraktiven und salzartigen Substanzen aus dem Fleische gezogen, ersteres durch die allmählich gesteigerte Erhitzung innerhalb der Flüssigkeit zum Gerinnen gebracht und als Schaum abgefüllt, während ein Teil des im Fleische enthaltenen Zellgewebes sich in Leim verwandelt hat. Durch allzu starkes Auskochen verliert aber das Fleisch seinen Zusammenhang, Geschmack und Nahrhaftigkeit, welche nur vom Vorhandensein von Zellgewebe, Fett und extraktiven Stoffen zwischen den Muskelfasern abhängig ist. Durch Anwendung ungesalzenen, und noch dazu gewöhnlichen kalk- und gipsartigen Brunnenwassers erhält man eine schlechtere und weniger wohlschmeckende Bouillon als mit kochsalzhaltigem Wasser. Am schlechtesten aber werden sowohl Bouillon als Fleisch, wenn man letzteres sogleich in siedendes Wasser bringt. Besonders oft glauben die besten Köche, dass es ihnen an Zeit fehlt, welche sie durch ein recht starkes Feuer zu ersetzen sich vergebens bemühen; so wird das Fleisch durchhitzt, nicht lange und gehörig durchwärmt, das Albumin verhärtet sich, der tierische Leim ist verhindert aus dem Fleisch zu dringen, die Muskelfaser verschrumpft, das Wasser kann nicht in das Innere dringen und die extraktiven Teile lösen, so wird nicht nur die Bouillon kraftlos, sondern auch das Fleisch hart und unverdaulich. Wird aber das Feuer im Anfang mäßig unterhalten, der Fleischtopf durch eine natürlich verständige Sorgfalt gepflegt; so hebt sich das Albumin in leichtem Schaume, der tierische Leim löst sich vom Fleische; die Bouillon wird delikat und kräftig, das Fleisch weich und nahrhaft.

Der große Rabelais hat diese Grundsätze in Frankreich sprüchwortlich gemacht, lange bevor die Chemie sie lehrte. Man kann nicht genug die Tiefe, Präzision und den Sinn der Maxime bewundern, die wir der Beurteilung des Lesers überlassen:

Plus y étant, plus cuit restait,
Pklus cuit estant, plkus tendre était.

Man sagt den Suppen mit großem Unrecht viel Böses nach. Es ist sonderbar, sich davon eine große Erschlaffung des Magens zu träumen.

Wird denn nicht alles Getränk, wenn wir es auch noch so kalt zu uns nehmen, im Magen in wenigen Minuten warme Suppe, und befindet sich denn nicht der Magen Tag und Nacht in der natürlichen Temperatur einer warmen Suppe? Nur hüte man sich, sie heiß oder in zu großer Menge auf einmal oder zu wässerig zu genießen. Die Suppe hat ihre großen Vorteile: sie ersetzt das Getränk, besonders bei Gelehrten und Frauenzimmern — und diese namentlich trinken fast immer zu wenig —, wie bei allen denen, welche außer Tisch wenig oder gar nicht trinken, und die, wenn sie nun auch das Suppenessen unterlassen, viel zu wenig Feuchtigkeit in das Blut bekommen. Wobei noch zu bemerken ist, dass das Flüssige, in Suppengestalt genossen, sich weit besser und schneller unsern Säften beimischt, als wenn es kalt und roh getrunken wird.

Eben deshalb ist Suppe zugleich ein großes Verhütungsmittel der Trockenheit des Korpers, und daher für trockene Naturen und im Alter die beste Art der Nahrung, Ie älter der Mensch wird, desto mehr muß er von Suppe leben. Ia selbst die Dienste eines Arzneimittels vertritt eine gute Suppe, Nach Erkältungen, bei nervösem oder Magenkopfweh und manchen Arten von Magenkrämpfen ist Suppe das beste Mittel. Unsere Vorfahren, die stärker waren als wir, genossen viel Suppen, und die Bauern, die es noch sind, genießen noch viel Suppen. Das Spruch- wort: wer lange suppt, lebt lange, ist wahr, wie irgend eines

In Paris gibt man fast bei allen Suppen geriebenen Parmesankäse herum; er gibt das Piquante. Die Fremden machen es gern nach und bringen diese löbliche Gewohnheit in ihre Heimat. Ursprünglich kommt aber die Sitte, Parmesankäse zur Suppe zu geben, aus Italien, aus der Zeit, wo Sitte und verfeinerte Lebensweise dieses Landes in Europa dominierten, lange bevor Paris tonangebend geworden war; sie kam (nach Rabelais) erst mit der Renaissance nach Frankreich.

Man gebe der Bouillon viele und mannigfaltige Vegetabilien, vielerlei Wurzeln, Sellerie, aber keine Pastinaken, keinen gestoßenen Pfeffer oder gar Ingwer: dieser Putz kleiner Küchen ist eine höllische Zutat, verletzt Auge, Geruch und Geschmack; man glaubt, Harpyen haben über der Suppe geschwebt. Einige, wiewohl kleine Stücke diverser Fleischsorten, Schinken, machen das Ganze würzhaft. Zimmermann gab gern, namentlich bei Rekonvaleszenten, Scorcenera in die Suppe." (S.62-67)

Rindfleisch Vaerst, Eugen von