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Fisch und Schalentiere


Die Menschen, die an Küsten, Seen oder entlang Flüssen lebten, aßen eine große Vielfalt an Schalentiere und Fischarten. Fisch war ein weniger prestigeträchtiges Nahrungsmittel als Fleisch und wurde häufig nur als Fleischalternative an Fastentagen serviert. Das Jahr wies allerdings eine hohe Zahl an Fastentagen auf. Die 49 Mönche der Londoner Westminster Abbey aßen beispielsweise zwischen 1495 und 1525 an durchschnittlichen 215 Tagen des Jahres Fisch. Fisch spielt deshalb in der mittelalterlichen Ernährung eine sehr wesentliche Rolle.
Fang von Süßwasserfischen, Tacuinum Sanitatis, 15. Jahrhundert

Tacuinum Sanitatis, 15. Jahrhundert

Fang von Neunaugen. Fische zählten zu den erlaubten Fastenspeisen.

Fische und Schalentiere des Süßwassers


Fische und Schalentiere wie Flusskrebse lassen sich nur selten archäologisch nachweisen. Da sie häufig nicht zu den Abgaben zählten, die an den Grundherren zu entrichten waren, tauchen Angaben zu Fang- und Handelsmengen nur selten in den schriftlichen Quellen jener Zeit auf. Es gibt dagegen viele Hinweise auf Auseinandersetzungen über Fischereirecht an Wasserläufen. Sie sind ein Indiz für die Bedeutung des Süßwasserfische und –schalentiere in der mittelalterlichen Ernährung. Auf ähnliches weisen die seltenen archäologischen Funde hin: In den 1960er Jahren wurde am Biskupin-See im nordöstlichen Polen eine Siedlung des 9. Jahrhunderts ausgegraben, die sich in großem Maßstab auf das Räuchern von Süßwasserfischen spezialisiert hatte. Das Ausgrabungsteam konnte in den gefundenen 9 Räucheröfen und 43 Räuchergruben Hecht, Barsch, Rotauge, Brasse und Wels nachweisen, die offenbar in den Öfen zuerst heiß und dann im kalten Rauch der Gruben fertig geräuchert wurden. Lachs kam noch in zahlreichen Flüssen vor und spielte als leicht zu fangender Fisch neben Neunaugen und Äschen ebenfalls eine große Rolle. Eine umfangreiche Teichwirtschaft, in der Süßwasserfische herangezogen wurden, gehörte zu den Agrartechnologien, die bereits von den Römern praktiziert wurden. Diese Form der Fischzucht kam jedoch in der Zeit der Völkerwanderung weitgehend zum Erliegen und wurde ab dem 13. Jahrhundert zunächst in Frankreich wieder intensiv praktiziert. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fanden sich große Teichanlagen in vielen Regionen Europas. Die Entwicklung der Teichwirtschaft wurde durch die Verbreitung des Karpfens begünstigt, eine Fischart, die ursprünglich in Südosteuropa beheimatet war. Es ist nicht sicher, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass Karpfen nach dem Jahre 1000 auch in Zentral- und Westeuropa vorkamen. Die Klimaerwärmung kann dazu beigetragen haben, dass sich diese Fischart natürlich ausbreitete. Der Anthropologe Brian Fagan hält es für wahrscheinlicher, dass Mönche und Nonnen diese Fischart gezielt einführten, um ihre Ernährung während der Fastenzeit abwechslungsreicher zu gestalten. Karpfen gedeihen auch in Wasser mit einem niedrigen Sauerstoffgehalt und sind daher prädestiniert für eine Zucht in flachen Teichen. Einzelne Klöster und Adelige besaßen zum Teil sehr weitläufige Teichwirtschaften, in denen diese Fische für die Fastenzeit herangezogen wurden. Die Spuren dieser Teichanlagen prägen bis heute Teile der europäischen Landschaft. So finden sich beispielsweise in der Umgebung des Klosters Maulbronn noch die Spuren von rund einem Dutzend großer Fischteiche. Die 400 Quadratkilometer an Teichanlagen rund um das böhmische Trebon, das Süßwasserfische bis nach Prag lieferte, werden heute noch für die Zucht von Karpfen genutzt.

Salzwasserfische


Salzwasserfische spielten bis zum 10. Jahrhundert fern der Küsten nur eine geringe Rolle in der Ernährung. Danach begann ein europaweiter Handel mit Hering und Kabeljau, zwei Salzwasserfischen, die sich gut konservieren ließen. Ab dem frühen 13. Jahrhundert wurde europaweit vor allem Hering als Fastenspeise gegessen. Reichtum und Unabhängigkeit der Hansestädte basierte zu einem Teil auf dem Handel mit diesen beiden Fischen.[116] Köln und Frankfurt entwickelten sich zu zentralen Umschlagsorten im Heringshandel. Brian Fagan nennt als wesentliche Gründe für den Bedeutungszuwachs dieser beiden Fischarten, dass erst ab diesem Zeitraum ausreichend Salz in geeigneter Qualität abgebaut, dieses über weite Entfernungen gehandelt wurde und sich auf Salz basierende Konservierungsmethoden standardisierten. Parallel dazu hatten sich die Techniken im Schiffbau so weiter entwickelt, dass zunehmend größere Schiffe gebaut werden konnten, die den Handel mit diesen Fischen profitabel werden ließ.

Kabeljau oder Dorsch ließ sich, wenn er leicht gesalzen war, an der Luft gut trocknen; er wurde von Februar bis April vor den Lofoten, vor Vesteralen, Island und Schottland gefangen, anschließend verarbeitet und getrocknet und dann als Stockfisch in ganz Europa gekauft und gegessen. Seine Zubereitung war aufwendig; er musste vor dem Servieren lange gewässert werden und wurde häufig mit einem Hammer weichgeklopft. Wichtigster Umschlagplatz von Stockfisch war Bryggen, das hanseatische Kontor in Bergen. Der fettere Hering ließ sich leicht einsalzen oder durch Räuchern haltbar machen. Besonders preisgünstig war Hering, der zunächst für 14 Tage in Salzlake eingelegt und dann weitere 14 Tage heißgeräuchert wurde, bis er eine braunrötliche Farbe aufwies. Er war so haltbar, dass er ohne Probleme in Fässer gepackt mit Tragetieren und Booten von den Küsten Nordeuropas bis in den Süden Europas transportiert werden konnte. Brian Fagan bezeichnet den so konservierten Hering als einen „Fisch ohne jegliches Sozialprestige“, eine Nahrung für Arme, Klosternovizen und Soldaten. In der Neuzeit exportierte man ihn sogar bis nach Übersee, wo man mit ihm auf den Plantagen die Sklaven ernährte. Der Geschmack dieses in Massen produzierten Räucherfischs war durchdringend und machten ihn zu einer wenig geschätzten Fastenspeise, von der man behauptete, allein sein Geruch vertreibe den Hunger. Heute wird diese Art von geräuchertem Hering in Europa nicht mehr hergestellt, da die lange Haltbarkeit als seine wesentliche Eigenschaft durch die modernen Konservierungstechniken obsolet geworden ist.

Etwas teurer als der eingesalzene und dann geräucherte Hering war der nur in Salzlake konservierte Hering. Er war verderblicher als der zusätzlich geräucherte und musste sorgfältiger verarbeitet werden. Der Erfolg der Hanse basierte zum Teil auch darauf, standardisierte Verarbeitungsweisen durchzusetzen, die eine gleichbleibende Qualität und Haltbarkeit der Heringe weitgehend sicherstellten. Ein erhalten gebliebenes Dokument aus dem Jahre 1474 belegt für die beiden südschwedischen Fischerorte Falsterbo und Skanör, dass sich der Heringsfang zu einer gut organisierten Massenproduktion entwickelte. In den beiden Orten fischten 762 kleine Fischerboote Heringe, so dass etwa 3.500 Personen direkt im Fischfang beschäftigt waren. 700 weitere Personen schafften die gefangenen Fische mit 26 größeren Bargen von den Booten an die Küste oder transportierten sie mit Karren zu den 174 Frauen, die die Fische ausnahmen, diese zunächst zwischen reines Salz schichteten und nach ein paar Tagen in mit Salzlake gefüllte Fässer einschichteten. Neben den Böttchern, die die Fässer herstellten, verschlossen oder reparierten, hielten sich 200 Kaufleute mit ihren Gesellen und Lehrlingen in den beiden Orten auf, die den Hering aufkauften und von dort aus nach ganz Europa transportierten. Insgesamt waren 5.000 Personen in Falsterbo und Skanör direkt mit dem Heringshandel beschäftigt. Eine einzelne Heringstonne enthielt zwischen 900 und 1000 Heringe. Etwa ein Fünftel ihres Volumens entfiel auf Salz. In der Hauptsaison, die vom 25. Juli bis zum 29. September währte, schwollen die beiden Orte temporär auf mittelalterliche Großstadtgröße an. In den Vitten, den im Besitz einzelner Hansestädte befindlichen Verarbeitungsplätzen, kamen bis zu 20.000 Menschen zusammen, um Heringe zu verarbeiten und zu handeln. Ähnlich war der Fischhandel in Yarmouth organisiert, wo nach modernen Schätzungen in den Jahren 1336 bis 1337 10 Millionen Fische gefangen, verarbeitet und gehandelt wurden. Der so konservierte Hering wurde zu einer Standardfastennahrung des Mittelalters, die bis weit in den Süden Europas exportiert wurden. Heringsfässer aus Flandern wurden im Jahre 1396 unter anderem in der Toskana verkauft; 1430 wurden in Köln Heringstonnen für Barcelona verladen und verschiedene erhalten gebliebene Haushaltsbücher belegen, dass für viele Haushalte tief im Inland Europas zwischen Ende November und Ostern der Salzwasserfisch Hering die wichtigste Proteinquelle war.

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